Eine wehrhafte Blume

Zum ersten Mal bin ich der Bougainvillea in Andalusien begegnet – beim Kaffeestündchen im Haus einer Auswanderin. Ihre Zimmer reihten sich rings um einen offenen Innenhof, der von Blumen überwuchert war. Vor allem die glutrote Bougainvillea dominierte das Blütenmeer, und als ich Entzückensschreie ausstieß, blinzelte die Frau des Hauses mir schelmisch zu: „Die Pflanze hat Dornen. Das hindert Einbrecher daran, über die Mauern zu klettern.“

In Porto Cristo sehe ich die Bougainvillea jeden Tag. Gleich drei wuchernde Stämme stehen auf dem Plätzchen vor dem Haus, in dem wir wohnen. Sie haben ein schweres Leben. Mit wenigen Krümeln Erde müssen sie auskommen, und ganz offensichtlich hat niemand Lust, sie im Sommer zu gießen. Selbst wenn das Thermometer die 40 Grad Marke erreicht, sind die Schönen auf sich selbst gestellt und kämpfen zäh ums Überleben. Bewundernswert, diese Kraft, diese Energie im Verborgenen.

Ich helfe, so gut ich kann: Immer wenn ich hier bin, dünge und gieße ich die Pflanzen, rede ihnen gut zu und warte begierig darauf, dass sie wieder Blätter und Blüten ansetzen. Auch in diesem Jahr hat das geklappt. Nach fünf Wochen sind zwei Stämmchen ausgeschlagen. Ein drittes zeigt noch immer dürre Zweige, lässt aber erkennen, dass der feuchte Mallorca-Herbst ihr Überleben sichern wird.    

Dass die Pflanze hier wuchern kann, ist dem französischen Seefahrer und Entdecker Louis Antoine de Bougainville zu verdanken, nach dem auch die Insel Bougainville benannt ist. Während seiner Weltumseglung 1766/69 wähnte er sich auf Tahiti im Garten Eden, und eine gewisse Jeanne Baret, die mit ihm übers Meer geschippert war, entdeckte die schöne Pflanze. Sie liebte nicht nur ihre Blüten, sondern wurde auch von Philibert Commerson geliebt, in aller Heimlichkeit. Der Botaniker hatte die junge Dame in Männerkleidern aufs Schiff schmuggeln müssen, denn Frauen waren derlei Abenteuer streng verboten.

Nicht überliefert ist, ob die Frauen aus Übersee ebenso begehrt waren, wie die Männer, denn für sie war Tahiti offensichtlich ein Paradies, wie ein französischer Lebemann in seinem Reisebericht versichert: Sofort nach der Landung sollen ihm die Bewohnerinnen Tahitis die Kleidung vom Leib gerissen haben. Und ihre Küsse seien überaus zahlreich gewesen.

Mag sein. Sicher ist, dass die Bougainvillea manch einem die Angst vor Einbrechern zu nehmen vermag. Schließlich ist es nicht immer einfach, in den Urbanisationen zu leben, die sich in Spanien rund um die Touristenorte angesiedelt haben. Die schmucken Häuser mit ihren Säulen, Terrassen und mediterranen Gärten zeugen zwar von allem, was sich der nordische Mensch vom Leben im Süden erträumt, aber meistens enden diese Träume mit dem Sommer.

Wer hier dauerhaft lebt, kennt Herbst- und Wintermonate, in denen kaum ein Nachbar grüßt, weil die meisten doch lieber im emsigen Berlin oder Hamburg ihren Kaffee trinken. Dann gleichen die Urbanisationen Geisterstädten, die sehnsüchtig auf den nächsten Sommer warten, während der ruppige Wind durch die menschenleeren Straßen fegt. Und die Bougainvillea muss – wehrhaft und stark wie sie ist – alles daransetzen, um Einbrecher mit ihren Dornen abzuwehren.  

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