Abseits der Touristenmeile ist die Altstadt von Porto Cristo oft menschenleer. Abweisend und unbewohnt wirken die müden Häuser, die Schlagläden sind verschlossen, keine Blume, kein Schmuck ziert die Fassaden. Die Bewohner schotten sich ab, tauchen ein ins Dunkel ihrer Wohnungen, entfliehen der gleißenden Sonne.
Doch der Schein trügt: Selbst das Arbeiterviertel mit den Häuschen, die sich eng aneinanderhängen und ergeben die Tage verdösen, ist voller Überraschungen. Wenn eine Lamellentür geöffnet wird, zeigen sich neue Perspektiven. Hinter dem dunklen Wohnraum erstrahlt manchmal das Licht eines Innenhofs, verziert mit Palmbüscheln und Oleander. Bananenstauden recken sich zwischen tristen Mauern in den Himmel, und die rankende Bougainvillea lugt über manchen Zaun. Die Künstlerin Lydia Hoffnungsthal hat sich sogar einen Zaubergarten (Foto oben) geschaffen zwischen den mächtigen Mauern der Nachbarhäuser. Außen die strenge Fassade, innen die Schönheit des privaten Raums: Auch manches prachtvolle Stadtpalais ist nach diesem Prinzip gebaut.
Selbst viele spanische Mehrfamilienhäusern haben ein verborgenes Innenleben. Allerdings ist es häufig nur ein Schacht, der Licht und Luft ins Innere bringen soll. Acht oder mehr Familien teilen sich diesen inneren Raum, der mit hölzernen Läden geschützt ist, aber durch große Fenster besichtigt werden kann.
Das eröffnet völlig ungewohnte Erlebnisse: Wenn ich nachts am offenen Fenster liege und in den Schacht lausche, meine ich, jede Regung meiner Mitbewohner auf vier Etagen zu hören. Ihr Seufzen wirbelt durch den inneren Raum, ihr Schnarchen erzählt von tiefer Entspannung und ein Kind greint im Schlaf, wenn es durch die Pforten seiner Alpträume schreitet. So nah erscheint mir die Kleine, dass ich sie streicheln möchte – zum Trost: Der Schacht – so scheint mir – verstärkt die Geräusche.
Aber meistens ist es völlig still, und ich stelle mir vor, in einem riesengroßen Bauch zu liegen mit Etagen voller Leben und all seinem Wispern und Atmen. Geheimnisvoll ist es, diese Menschen um mich zu wissen, sie so nah zu spüren mit ihren Hoffnungen, Wünschen und Träumen, mit all ihren Sorgen.
Dann schließe ich die Augen und denke darüber nach, ob diese Architekturidee auch Unheil anrichten kann. Was wäre, wenn mich meine Nachbarn im Tageslicht nicht so freundlich grüßen würden, wie in diesen Tagen? Was wäre, wenn einer von ihnen Choleriker wäre, Trinker oder Schläger? Was wäre, wenn ich jemanden nicht mögen würde, ihn aber hören müsste – in mancher Nacht?
„Es ist, wie es ist“, rauscht das Meer. Manchmal tobt es so wild, dass ich es selbst im Schacht höre. Und das ist gut so, denn es wirbelt mich wieder in den Schlaf.



Wunderbarer Reisebericht und so schoene Bilder
Wunderbar, wie so schön fotografierte Tore die eigene Phantasie fördern. Danke