Von Weyrauch geschwängert

Sie hat ein Räucherstäbchen angezündet, die Luft ist von Weyrauch geschwängert. Langsam schreitet sie durch den kleinen Raum, der seit Jahrhunderten eine fachwerkummantelte  Herberge ist, segnet die Winkel, verbindet sich mit dem Unsichtbaren, das wir spüren, deutlich spüren.  

Dann nimmt sie die Tarot-Karten, sortiert und mischt sie, legt hier hin und dorthin, überlegt, schaut geduldig ins Weite, nimmt sie wieder zur Hand, legt einige beiseite, hebt andere hervor, mischt noch einmal. Intuitiv. Langsam. Bedächtig.

Ich habe ihr eine Frage gestellt: Wie soll es weiter gehen mit meiner Arbeit. Ist der neue Roman fertig, sollte ich ihn noch einmal überarbeiten, erweitern? Ist Zeit für Neues? Sie hat mir zugehört, über eine Stunde lang, mit klarem Geist. Nun hoffen wir auf Intuition . Sie hält mir den Kartenfächer hin, ich darf wählen. Dann lege ich vier Stapel, aus denen ich noch einmal ziehe.

Nervös schaue ich auf die Kartenrücken. Was werden sie mir sagen? Teil um Teil ziehen wir durch das Feld. Am Anfang ist da Kraft, viel Kraft. Dann die Hürden, Barrieren, zwischendurch ein Harlekin, der mich spielen lässt: Ja, den will ich, vor allem ihn. Und zum Schluss, der Fährmann, der entschlossen und mit offenem Blick, wohlwissend um die niederdrückenden Ängste und Zwänge im kleinen Boot, nach neuen Ufern sucht.

Wie sagte der Philosoph Friedrich Theodor von Vischer? „Orakel, Wünschelrute, Pendel und auch Tarotkarten sind bloß die Verstärker, die Lautsprecher für etwas, das bereits in uns schlummert, aber dessen Impulse zu ungewohnt sind, als dass wir sie inmitten des Lärms in unseren Köpfen wahrnehmen.“

Genau so empfinde ich es: Mein Jahr hat hoffnungsvoll begonnen.

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