Als ich fliegen lernte

Ich sehe es noch vor mir, als sei es gestern gewesen: Köln, Schildergasse. Ein schmuckloser Neubau, eine Wohnung, die zum Tempel von Maharishi Mahesh Yogi wurde. An den Wänden güldene Plakate des Meisters, im Flur Broschüren, die die Transzendentale Meditation anpriesen. Der indische Guru konnte im Westen Furore machen, weil die Beatles 1968 sein Mantra gemurmelt hatten. Schon wenig später wurde der Kölner Tempel eröffnet und zog Gläubige an. Darunter auch mich. In dem wochenlangen, hunderte Mark teuren Meditationskurs ließ ich mich auf mein persönliches Mantra vorbereiten, das mir am Ende der Ausbildung in einer feierlichen Zeremonie verliehen werden sollte – zusammen mit der Hoffnung, dieses Mantra murmelnd irgendwann meditativ fliegen zu können.

Kerzen glühten, Räucherstäbchen schwängerten die Sinne im Einklang mit meditativen Klängen am Tag der Initiation. Noch einmal erklärte mir der gesetzte Herr, der in einem hellen Anzug vor dem Altar mit dem Bild von Maharishi saß, wie wichtig es sei, dieses Mantra wie einen Schatz zu hüten, mit niemandem darüber zu sprechen, es auf keinen Fall auszuplaudern oder damit anzugeben. Dann war es so weit. Nach einem minutenlangen Gemurmel, das ich nicht verstand, flüsterte er: „Sheering“ und noch einmal „Sheering“, mein persönliches Mantra, das eigens für mich auserwählt worden war, für mich, ausschließlich für mich. Noch heute erinnere ich mich an dieses großartige Gefühl zu schweben, schwerelos zu sein. Wie im Traum wandelnd zog ich nach der Initiation durch die Menschenmenge der Schildergasse, innerlich ‚Sheering’ murmelnd, weiter und weiter. Ich sah keine einzelnen Gesichter, hörte keine konkreten Sätze. Es war, als schwebe ich in einem kosmischen Grundrauschen, das mir das geheime Wort verliehen hatte, durch den Großstadtlärm: ‚Sheering’.  

Die Ernüchterung folgte am nächsten Tag. Ich hockte in unserer Stammkneipe, ein Kölsch in der Hand, und das Thema war Maharishi Mahesh Yogi. Ja, es gab auch andere, die sich in seine güldene Welt begeben hatten. Und ja, auch sie hatten ein Mantra bekommen, das sie niemandem, wirklich niemandem verraten durften. Das war das Abkommen. Bierselig verlachten wir es und flüsterten uns das Wort ins Ohr. Es war für alle gleich…

Die Szene ist mir gestern Abend eingefallen, als ich den Film „David wants to fly – ein yogisches Abenteuer“ angeschaut habe. Da zieht der junge Filmemacher David Sieveking naiv wie ich und fasziniert wie ich dem Meister nach. Er lässt sich nicht nur von den Beatles, sondern auch von Regisseur David Lynch begeistern, der ein begeisterter Anhänger der Transzendentalen Meditation ist. David Sieveking will einen Film über Maharishi Mahesh Yogi drehen und reist an seine Wirkungsorte. Er lässt sich für 2000 Euro ausbilden und besucht minutiös und unermüdlich die Dörfer und Paläste, die Maharishi im Lauf der Jahre für seine Meditationsmission errichtet hat.

Die Reise ist ernüchternd. Die anfängliche Euphorie wird – so könnte es ein forscher Journalist ausdrücken – kaputt recherchiert. Je tiefer Sieveking in das Reich des Gurus eindringt, desto zweifelhafter wird die Mission. Das Versprechen, in tiefer Meditation fliegen zu lernen, entpuppt sich als Farce. Die Orte, an denen 8000 Menschen den Weltfrieden herbei meditieren sollen, sind einsame, öde Behausungen, und im Gespräch mit dem Guru, der heute dem Kloster vorsteht, in dem Maharishis Weg begann, wird deutlich, dass die Transzendentale Meditation vor allem ein großes Geschäft ist.

Alles umsonst? Das ist das Bedauerliche. Der Film hinterlässt vor allem einen schlechten Nachgeschmack. Mit der Entzauberung des Meisters fällt auch ein schlechtes Licht auf die Meditation. Und das ist schade. Maharishi Mahesh Yogi ist es – trotz all seiner menschlichen Schwächen – zu verdanken, dass die Disziplin der gedankenlosen Leere im Westen angekommen ist und sich gerade in unseren Tagen immer weiter verbreitet. Wohin man schaut, werden Kurse angeboten, Workshops zelebriert. Sicherlich steht hinter vielen der Wunsch, ein Geschäft zu machen. Aber es gibt keinen Zweifel, es ist mittlerweile sogar wissenschaftlich belegt, dass die innere Einkehr wohltuend ist und vieles bewirken kann. Regisseur David Lynch hat sie so inspiriert, dass er nach eigenem Bekunden viele Ideen für seine Filme in eben dieser Stille gefunden hat.

Ich kann es also weiter probieren. Ein Wort und sonst nichts. Immer und immer wieder wiederholt. Und dieses Wort muss nicht „sheering“ heißen. Ich kann es mir selbst suchen.

Und es kostet. Nichts.

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