Die Nachbarn waren entsetzt

Eigentlich wäre ich jetzt auf Mallorca, und eigentlich würde ich jetzt um Valdemossa wandern, denn von hier führen Traumpfade zu grandiosen Aussichten über Land und Meer. Das Bergnest selbst ist kein Geheimtipp mehr. Aber eine Besonderheit gibt es: Hier ist es unmöglich, nicht Frédéric Chopin (1810-1849) zu begegnen. Denn hier verbrachte er mit George Sand (1804-1876) einen Winter, über den noch heute alle reden.

Ob ich will oder nicht, denke ich in diesem Zusammenhang wieder an die Corona-Krise. Denn auch in der Geschichte dieses legendären Paars  spielt eine Lungenkrankheit die Hauptrolle. Tuberkulose hieß damals das Wort, das Panik erzeugte. Schon mit 16 Jahren hatte Frédéric Chopin ansehen müssen, wie seine Schwester in einem Sanatorium mit „Aderlässen, einmal, ein zweites Mal, unzähligen Blutegeln, Blasenpflastern… Aventüren über Aventüren“ dahinsiechte und schließlich starb.

Mit 33 Jahren, selbst schon schwer erkrankt, begleitete er die Skandal umwitterte George Sand nach Mallorca. Eine katastrophale Zeit, die durch drei Ärzte noch katastrophaler wurde. Chopin schrieb am 3. Dezember 1838: „Der erste beroch das, was ich ausspuckte; der zweite klopfte mich ab, um zu erfahren, woher die Spucke kam; der dritte tastete und lauschte, während ich spuckte. Der erste sagte, ich sei krepiert, der zweite – dass ich im Begriff wäre, zu krepieren, der dritte – dass ich krepieren werde . . .“

Anschließend machte das Doktorentrio Chopins Tuberkulose eilends publik. Die Nachbarn waren entsetzt: Das Paar musste schleunigst die Pension in Palma verlassen, das Haus wurde frisch getüncht, die Bettwäsche verbrannt unter Berufung auf die spanischen Seuchengesetze. Doch es gab den Ausweg ins Kloster von Valldemosa.

George Sand erinnert sich: „In einer verlassenen . . . Kartause hatten wir eine sichere und pittoreske Bleibe gefunden.“ Tatsächlich hat sich Chopin dort elend gefühlt. Die Behausung war kalt und erschien ihm voller Gespenster, seine Zelle war „wie ein hoher Sarg“.

Während Chopin komponierte, aber auch immer kränker wurde, durchstreifte George Sand mit ihren Kindern das Land, schrieb bildreich und verwegen über die Insel und verewigte ihren Aufenthalt in dem Buch „Ein Winter auf Mallorca“.

Eigentlich wäre ich jetzt dort. Stattdessen streife ich durchs nahe Land und finde im heimischen Wald Wege, lange nicht gesehen und unvergesslich im Frühlingslicht.

Und am Abend erinnere ich mich an Valdemossa und bewundere diesen Chopin, der es geschafft hat, todkrank und verzweifelt, solche Musik zu komponieren:

Das Regentropfenpräludium, Des-Dur op. 28:

6 Gedanken zu “Die Nachbarn waren entsetzt

    1. Es ist wunderbar, dass es solche Menschen gab und gibt. Was wäre die Welt ohne sie. Schöne Ostern, unbekannter Lu

  1. Das Buch hatte ich mir mal aus den Bücherhallen in Hamburg ausgeliehen. Damals kam ich nicht rein in das Buch, aber ich glaube das ändert sich jetzt. Irgendwie wusste ich von dieser Geschichte so rein gar nichts. Danke für deinen Beitrag. Hat mich sehr berührt. Leider kann ich das Video nicht anhören. Mein Lautsprecher ist malade.

    1. Ja, ich kann das Buch nur empfehlen. Vielleicht am Anfang etwas umständlich, aber dann frech und wild und – wie ich fand – überraschend modern geschrieben. Teilweise voller Arroganz und Häme über die Mallorquiner, aber mit einer tiefen Bewunderung für die Insel. Wer Mallorca kennt, sollte diese Lektüre nicht versäumen. Er wird ein völlig neues Bild erhalten.

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