Kaum hatte ich Mainland betreten, spürte ich die Abgeschiedenheit der Orkney-Insel und hörte anrührende Geschichten: Abends, wenn die Dunkelheit über den Strand kriecht, so wurde mir erzählt, tanzen schöne Frauen an den weiten Stränden: Frauen, die eigentlich Robben sind, und ihr Seehundfell abgelegt haben, um für kurze Zeit als Menschen im Sand zu spielen.
Ich glaubte jedes Wort. Von anrührender Einsamkeit ist die Landschaft, baumlos und sturmzerzaust. Dann und wann ein Haus, eine Scheune, Häfen, die nach Schiff und Diesel riechen, Schafherden und an den Steilküsten das tosende Meer.
Es gibt Inselchen in diesem Archipel, die nur Vögel zu schätzen wissen, und es gibt Hether Blether, die verzauberte Insel, die – so wird erzählt – nur in Schaltjahren sichtbar ist. Selbst die Papageientaucher haben hier ein sagenhaftes Leben: Sie drängen sich dicht aneinander, um auf offener See zu überwintern. Was soll ich sagen: Es ist eine Landschaft, in die Märchen verwebt sind wie nirgendwo sonst.

Sogar Zeitgenössisches lässt sich hier spinnen. Das beweist Amy Sackville mit ihrem Roman „Reise nach Orkney“. Liebevoll beobachtet sie ihre Heldin, eine schöne, bleiche Frau, die stundenlang am Meer sitzt, wo sie Wind und Regen trotzt, und reglos ins Weite schaut. Ihr Mann, ein 40 Jahre älterer Literaturprofessor, verliert sie an diese Meeressehnsucht, die so sehr einer Todessehnsucht gleicht. Was ihm bleibt, ist der Anblick der Schönen und das Rätsel ihrer Herkunft. Im Zauber der Sprache entfaltet sich das Geheimnis, das die Orkneys umgibt.
Die Bloggerin Xeniana hat mir ein zweites Buch über die Inseln ans Herz gelegt, nicht minder wild und wortmächtig. Amy Liptrot erzählt in dem autobiographischen Roman „Nachtlichter“ offen und unbarmherzig über ihre Trunksucht, der sie in London verfiel, und die sie zurück auf die Orkneys und damit in ihre Heimat führt. Dort, im Angesicht von Sturm, Regen und Meer will sie das Leben wieder schmecken. Nüchtern und achtsam.

Das geht nicht ohne Donner: Sie erzählt vom sagenumwobenen Mester Muckle Stoorworm, der an Klippen und Stränden gesichtet worden ist, genau dort, wo es gelegentlich hallt, zittert und wackelt. Und „in den letzten rosigen Strahlen eines Sonnenaufgangs, kurz vor der Sommersonnenwende“, bleibt sie beim Steinkreis von Brodgar (Foto) stehen, zieht sämtliche Kleider aus und rennt nackt um die Menhire aus der Jungsteinzeit.
Auch urzeitliche Höhlen wecken Neugier. Am liebsten hätte sie in ihnen übernachtet, wenn es im Innern nicht so kalt, feucht und unwirtlich wäre. Und schließlich zieht es sie auf das Inselchen Papay, kaum Menschen, aber übersät mit geheimnisvollen Grabhügeln.
Abgefahren ist diese Frau. Sicher. Aber voller Sucht nach Leben – ohne Alkohol und Drogen darf es etwas heftiger sein. Als sie an Land genug entdeckt hat, streift sie den Neoprenanzug über und taucht ab in die Meereswelt von Orkney, nicht minder schillernd und unbekannt.
Nach dieser Lektüre voller Naturerlebnis, Landschaftsmalerei, Mystik und Geheimnis habe ich nur ein Problem: Auch ich möchte noch einmal den Sturm auf den Orkneys spüren – ganz intensiv und möglichst auf einer der einsamsten Inseln in diesem wilden, mächtigen Archipel. ush


Dein Bericht wirkt ansteckend. Schön ist das!
Herzliche Grüße
Ulli
Danke, liebe Ulli, Du weißt, dass Du mich animiert hast zu schreiben.
Ehrlich? Das freut mich jetzt aber 🙂
Ja, es stimmt. Ich war auf den Orkney-Inseln und habe dort „Reise nach Orkney“ gelesen. Das hat mich schon beeindruckt. Aber erst nach Deiner Rezension und nach der Lektüre von „Nachtlichter“ hatte ich Lust zu schreiben. Und das war sogar drängend.
Es freut mich sehr, dass dir die Lektüre von Amy Liptrot gefallen hat. Ich habe deinen Beitrag über Orkney so gern gelesen und habe dieselbe Sehnsucht. Noch einmal dorthin…Danke für das Verlinken
bzw. Nennen
Gute Idee. Ich habe noch verlinkt. Alles Liebe Ulrike
Danke:))wäre aber nicht nōtig gewesen:)
Warum nicht? Wir halten ja die empfohlenen zwei Meter Abstand und miteinander verknüpfen ist trotzdem schön.