Bücher ex und hopp

Es macht Sinn, Regale aufzuräumen. Da kommt nicht nur Staub zutage, da werden Gefühle geweckt, Erinnerungen: Wer war ich damals, als ich das gelesen habe?
Gestern habe ich mich das gefragt – zwischen all den alten Büchern. Jahrelang standen sie unbeachtet herum, ab und zu notdürftig vom Staub befreit, nun aber sorgsam beäugt,  ausgerechnet zwischen den Jahren – in dieser merkwürdigen Zeit, die aus der Welt gefallen zu sein scheint und den Blick weitet für alles, was sein könnte.
Sie stellten sich vor mich in Reih und Glied: Böll, Camus, Grass, Frisch, Hesse, Enzensberger, Bukowski und wie sie alle heißen, dazu noch die Haushofer, die Highsmith, die Beauvoir und ja, auch Francoise Sagan winkte aus dem Regal. Manche zu lesen war ein Muss. Andere habe ich geliebt, und wenn schon nicht das, zumindest bewundert und befragt: Was meint ihr hier, was soll das da und dort…?
Heute das Kontrastprogramm. Da lese ich im Blog „Der Indie“ über die Gewohnheiten von Karin Futschik in Zeiten von Kindle unlimited. „Ich gebe einem Buch nicht mehr lange Zeit, damit es mich in seinen Bann zieht. Ich bin nicht gewillt, Leerlauf in Kauf zu nehmen. Ich will Action. Spätestens am Ende des ersten Kapitels muss die Handlung loslegen, sonst verliere ich die Lust und gebe das Buch zurück. …der Autor wird sich damit arrangieren müssen, dass der Durchhaltewille des Lesers absinkt“, schreibt sie.
Klar, es gab immer schon E- und U-Literatur. Schmöker und die anderen, nennen wir sie ruhig die Anstrengenden, für die Durchhaltewille gefragt ist. Sinkt der tatsächlich ab, wenn ich sozusagen kostenlos durch Tausende Bücher schnüffeln kann?
Würde ich – wenn es tatsächlich so wäre – zum Beispiel „Schiffbruch mit Tiger“ lesen? Schließlich erklärt mir Yann Martel mindestens 50 Seiten lang erstmal sein Leben, bevor das Abenteuer beginnt. Oder Murakami? Da passiert lange gar nichts und doch zieht er mich in Bann, weil seine Sprache Geheimnis atmet, mit jeder Zeile. Habe ich dafür noch Gespür, wenn ich dem großen Bücherfressen verfalle? Und was nützt mir das Lesen, wenn ich alles, wirklich alles auf Anfang setze und niemals mehr auf ein tiefsinniges Ende hoffe?

7 Gedanken zu “Bücher ex und hopp

  1. Sehr gut erkannt und beschrieben. Nach einer Reader-Zeit, in der ich vieles angelesen aber fast nichts zu Ende gelesen habe, bin ich reumütig zum gedruckten, mit Sorgfalt ausgewähltem Buch zurückgekehrt. Die „Erfolgsquote“ und damit die Zufriedenheit mit dem Ausgewähltem ist wieder höher.
    LG Erich

    1. Das stimmt! Ich habe mir sogar gedruckte Bücher gekauft, die ich zuvor auf dem Reader hatte. Ein Buch in der Hand ist etwas viel schöneres, als ein unbelebtes Stück Elektronik.

      1. Reader haben ihre Vorteile, z. B. unterwegs oder bei schlechten Lichtverhältnissen. Aber ansonsten bin ich auch wieder bei gedruckten gelandet.

  2. Das ist wirklich schwierig und ich war auch schon oft in der Situation, dass mich ein Buch einfach nicht sofort in seinen Bann zog und ich überlegte, ob ich es einfach weglege. Einerseits ist meine freie Zeit begrenzt, die ich nicht verschwenden möchte mit langweiliger Literatur. Andererseits verdient jeder eine Chance, auch wenn der Anfang holprig war. Ich lese dann oft sehr oberflächlich und selektiv über einige Seiten. Irgendwann merkt man, ob es sich noch lohnt weiterzulesen oder ob es eine Quälerei wird. Aber das entscheide ich nicht im ersten Kapitel. Lg Elsa

  3. Danke für Eure Kommentare. Ich finde das auch sehr schwierig. Einerseits liebe ich den Reader, weil es sich einfacher z.B. im Bett lesen lässt, andererseits habe ich immer das Gefühl von Wertlosigkeit. Da ist nichts Greifbares und deshalb habe ich Vieles nicht weiter gelesen. Es verändert auf jeden Fall das Leseverhalten, die Ehrfurcht schwindet, die Ehrfurcht vor dem gedruckten Wort.

  4. Ich finde es interessant, wie sehr das „Lesegerät“ die Gefühle anspricht. Vielleicht würde sogar ein gedrucktes Buch besser gefallen als die Elektrovariante, obwohl es ja die gleichen Worte enthält.

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