Wehe dem, der seinen Eisvogel verfehlt

Ja, es stimmt: Ich suche schon jahrelang den Eisvogel hier an den Flüssen und Seen des Eifeler Nationalparks. Bis heute ist mir sein Anblick nicht vergönnt gewesen. Aber ich habe über ihn geschrieben, und zwischen den Zeilen spiegelt sich viel Sehnsucht nach unberührter Natur: 

Geheimnisvoll sind die Halkyon-Zeiten, sieben Tage vor und sieben Tage nach Luciae, der Wintersonnenwende am 21. Dezember. Sie erinnern an Halcyone, die Tochter des Windgottes, die sich verzweifelt ins Meer stürzte, als sie mit ansehen musste, wie ihr Gatte Ceyx in den Fluten versank. Von ihrer Treue beeindruckt, verwandelten die Götter die beiden Liebenden in Eisvögel. Seitdem gibt es alljährlich mitten im Winter 14 ruhige, windstille Tage, an denen der Eisvogel brütend in einem schwimmenden Nest auf dem glatten Spiegel des Meeres sitzt.

Nichts davon ist wahr; auch wenn die alten Griechen und Römer alles daran setzten, um den zärtlich-traurigen Mythos glaubhaft zu machen. Plutarch berichtet von ineinander verflochtenen kleinen Fischgräten, die sich zierlich zum Meeres-Nest fügen. Plinius, der Ältere, erzählt, das Nest sei einem großen Schwamm ähnlich und könne nicht zerschnitten werden, zerbreche aber durch einen harten Schlag. Noch bis ins 19. Jahrhundert grassierte in der vogelkundlichen Literatur die Idee, der Eisvogel brüte während der windstillen Halkyon-Tage mitten im Winter auf dem Meer.

Ist es das Sinnbild von Liebe und Treue, das den Eisvogel zum Mythos und zum Sehnsuchtsobjekt macht? Ist es die Sage der australischen Aboriginies, die munkeln, der in allen Farben des Regenbogens schillernde Schöne fliege wie ein Edelstein über Land und wo er sich niederlasse, gluckere eine Quelle? Oder ist es die Idee des Eifeler Dichters Hubert Wachtendonk, der sagt: „Arm ist, wer seinen Eisvogel verfehlt! Seine Berufung versickert im Nichts. Er ist so gut wie nicht gewesen.“

Warum auch immer: Wie viele andere, suche auch ich nach dem Eisvogel. Und seit Monaten frage ich Bekannte, Verwandte, Experten und Laien: Habt ihr ihn gesehen? Oft nicken sie mit leuchtenden Augen und nennen Schauplätze: In Heimbach an der Rur, am Haus des Gastes, an der K7, im Schliebachtal.  „Wie sieht er aus?“ frage ich weiter. Meist kommt eine Handbewegung, flink, hektisch von links nach rechts: „Wie ein Blitz.“ – „Voller Farbe.“ – „Unirdisch schön.“ – „Wie etwas ganz Besonderes.“ – „Wenn Du ihn gesehen hast, weißt Du, dass er es war.“ Und wieder hat ihn Hubert Wachtendonk am schönsten beschrieben: „Eisvögel, sagt man, schwängen ein gleißendes Schwert über dem durstigen Dämmer verborgener Seen….“

Dabei sind Verwechslungen nicht ausgeschlossen: Der sperlingsgroße Kleiber hat wie der Eisvogel einen recht langen Schnabel und – wie der Eisvogel – eine weiße Kehle. Auch ist er ebenfalls an Brust und Bauch rostbraun bis rahmfarben; das Deckkleid ist blaugrau gefärbt. Was dem Kleiber fehlt und was den Eisvogel so einmalig macht, ist der auffällige schillernd-schöne azurblaue Rückenstreif. Hat der altdeutsche Wort „eisan“ für „schillern – glänzen“ dem Eisvogel seinen Namen gegeben?

Eisvogels Eigenart ist es, von einem Ast, einen halben Meter über dem Wasser, aufs Wasser zu äugen und – wenn er Beute sieht – kopfüber ins Wasser zu stürzen, um nach dem Fisch zu tauchen. „Kingfisher“ heißt er bei den Briten und „Kungsfiskare“ bei den Schweden.     

Lesen lässt sich vieles über diese spektakuläre Form des Nahrungsfangs, aber sehen lässt sich der Eisvogel selten. Die meisten kennen ihn – auch wenn sie anderes beteuern – nur von Bildern und vom Fernsehen. Sein heimliches Leben verbringt der Vogel ausschließlich an sauberen, unverbauten, fischreichen Fließgewässern. Er ist keine Leitart des Nationalparks, lebt und brütet aber an seinen Rändern. Und auch dort tarnt er sich – trotz seines prächtigen Gefieders – erstaunlich gut. Seine Farben lösen sich vor dem Hintergrund des von Licht und Schatten gefleckten Ufergehölzes auf. Selbst im Flug lässt er sich nicht blicken; zu flink sind seine Bewegungen.

Geduld, Übung, Glück und Ruhe sind nötig, um ihn zu finden. „Von zehn Begegnungen höre ich neunmal nur seinen durchdringenden Ruf“, sagen selbst Vogelkundler: „Tieth“ – „tieht“, nach wenigen Sekunden noch einmal „tieht“, pfeift der Vogel, der zum Wappentier des Naturschutzes wurde; vielleicht weil er alles hat, was der Sehnsucht des modernen Menschen nach unberührter Natur entspricht: Eine heimelige Lebensweise, eine intakte Umwelt, berückende Schönheit, Entschlossenheit bei der Nahrungsaufnahme und eine Sage, die von der Unvergänglichkeit der Liebe erzählt. – Ich werde weiter nach ihm suchen…          

Foto von Andrew Mckie von Pexels

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