Schnee verrät die Liebenden

Auch in früheren Zeiten gab es emanzipierte Frauen, wie die Legende von Emma, der Tochter Karls des Großen, verrät. 

Kelmis, um 773 n. Chr.: Rauhreif häkelte Spitzen um die Buchenzweige, ein glutroter Himmel kündigte den Winterabend an. Emma zog ihren Wollumhang fest um die Schultern und lugte durchs Fenster. Im Burghof und vor den Toren palaverten Getreue an den Feuern.

Durch die Schießscharten fauchte ein Sturm, übertönt von den Befehlen des Vaters: Karl der Große liebte Kommandos und Schlachten. Jahr für Jahr trieb der Hüne im Zeichen des Kreuzes Kämpfer, Pferde, Ochsenkarren durchs Land – brutal, unerbittlich und ohne Rücksicht auf Gefahren. Nun kampierte er in der Eyneburg – mit seinen Gefolgsleuten, mit Frau und Töchtern, die ihn am Ende des Zuges begleitet hatten.

Emma war erschöpft. Die Feldzüge, die Überwinterungen in den Pfalzen, immer unterwegs, oft durchnässt, frierend, schwitzend – manchmal in Gefahr.

Sie war 18, eine Schönheit mit flachsblondem Haar und einem Geheimnis: Sie liebte Einhard, den Geheimschreiber Karls. Klein und zart war er, ein leiser Begleiter, der ihre Wünsche buchstabierte. Mit wärmendem Tuch schützte er sie vor der Zugluft, mit einem Vers erhellte  er ihr den Morgen und verstohlen folgte er ihren Schritten – mit wehmütigen Blicken.

Karls Töchter führten kein Klosterleben. Sie vergnügten sich oft so übermütig, dass Alkuin, der Lehrer der Hofschule, „vor den gekrönten Tauben“ warnte, „die durch die Stuben des Palastes flattern“. Doch an eine Heirat durften sie nicht denken. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, der Kaiser habe Angst vor Macht und Einfluss von Schwiegersöhnen und verbiete seinen Töchtern jede feste Beziehung. Emma öffnete die Schmuckschatulle und zog ein Perlenhalsband heraus. „Schmückt Euch, wir wollen den Sieg feiern“, hatte Karl befohlen.

„Ob ihm das gefällt, Luise?“, fragte sie ihre Zofe, die bernsteinfarbene Seide aus einer Truhe fingerte: „Aber natürlich. Komm, beeile Dich, die Musikanten stimmen schon die Instrumente.“ Rasch warf sie Emma die Gischt des Kleides über und schwatzte vom Festmahl: Pastete aus Eberfleisch lag fett in den Terrinen, dazu Stockfisch in Öl und Rosinen, gesottener Aal in Pfeffersauce, geschmalzte Drosseln und natürlich Ferkel vom Spieß, im Burghof gebraten. Als süße Zugabe Reis mit Mandelmilch und Eierkuchen mit Weinbeeren.

Emma hob die Röcke und trippelte zum Festsaal. Ihr Blick huschte über die Lüster mit ihren hunderten von Kerzen hinweg auf Suche nach Einhard. Artig grüßte sie nach rechts und links, redete Belangloses und hatte Mühe, sich auf das Protokoll zu konzentrieren.

„Ich muss mit ihm reden“, dachte sie und wartete, dass zäh die Zeit versickerte. Diener türmten Tabletts mit Speisen auf die Tische – darunter Attrappen, die Schreie des Entzückens auslösten: meisterlich dekorierte Schlösser, Bäume, Adler, Löwen, Wappen. Dazu Wein im Überfluss.

Lachen flutete durch den Saal. Musik. Gegen Mitternacht wankten die Gäste zu ihren Gemächern.

Emma eilte zu Einhard und flüsterte, er solle ihr rasch folgen in den Westflügel. Sie huschten in ihre Kammer, kauerten sich auf eine Bank, lauschten dem Raunen der Burg, atmeten die Nähe ihrer Körper, flüsterten Zärtliches und wurden eins mit der Nacht.

Als der Morgen graute, blinzelte Einhard schlaftrunken. Ein milchiges Leuchten erfüllte den Raum, und er schlich zum Fenster: Schnee lag auf den Zinnen. Zögernd weckte er Emma: „Ich muss eilen, Liebes. – Gleich werden alle wach sein. – Doch schau, alles ringsum ist weiß. Jeder wird im Schnee vor Deiner Tür meine Schritte erkennen.“

Emma sah ins Licht – Sekunden sprachlos. Dann lachte sie, sprang auf  und reckte sich übermütig. „Komm Einhard, das ist doch kein Problem. Schwing Dich auf meinen Rücken. Ich will Dich huckepack durch den Burghof tragen.“

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